Andreas Siekmann

Nach Dürer (2019)
Installation

Andreas Siekmanns Säule am Griesplatz ist eine zeitgenössische Interpretation von Albrecht Dürers nie realisiertem Denkmal für die besiegten Bauern (1525). Mit dieser Skizze und Beschreibung reagierte Dürer seinerzeit auf die sogenannten deutschen Bauernkriege, in denen die Landbevölkerung der Gebiete des heutigen Süddeutschlands und Österreichs gegen die Feudalherrschaft revoltierte, nachdem ihr mit den ersten Industrialisierungs- und Globalisierungswellen die Existenzgrundlage geraubt worden war. Heute verschlingt die vollindustrialisierte Landwirtschaft sämtliche Ressourcen eines erschöpften Planeten. Die Weizenähren, Sensen und Hühnerkäfige von Dürers Säule kennt man heute eher aus der Werbung als aus dem eigenen Leben. Der Bauer selbst wird zur ambivalenten Figur, das Schwert in seinem Rücken erinnert schmerzhaft an die in rechten Kreisen kursierende sogenannte Dolchstoß-Legende.

Wie sehr sich die wirtschaftliche Basis verändert hat, zeigt Siekmann, indem er die Tierfiguren am Sockel der Säule durch neue Allegorien ersetzt. Es sind Sinnbilder aus der schönen und angsterfüllten Welt einer Ökonomie, in der jede*r gezwungen ist, Anleger*in zu sein und als solche*r zu handeln. Auf Konservendosen sieht man Porträts der Wirtschaftsdarwinisten der Österreichischen Schule, die die Paradigmen der jetzigen Ökonomie beschrieben und legitimierten. Der Glaube an die soziale Gerechtigkeit bedeutete für diese die schwerste Bedrohung der Marktwirtschaft und der Freiheit. Die Konservendosen selbst erinnern an Überlebensreserven im Luxusbunker. Die Gewehre, die man braucht, um sich vor dem etwaigen Ansturm der Überflüssigen zu schützen, stellt die österreichische Waffenindustrie her. In einem defekten Greifautomaten sieht man Schlafmasken mit Rätseln.* Ihre Lösungen enthalten eine bittere Analyse der eigenen Situation, in der die erzwungene Knappheit im erzwungenen Überfluss jegliche Zukunft zunichtemacht. Greifbar sind diese Lösungen aber nicht. Das große Rad der Fortuna ist eine Kabeltrommel aus Kupfer, dem nach wie vor wichtigen Metall zur Übertragung von Daten und Energie. Das Rad wird von den vier Kontinenten bewegt, Bildzitate aus einem Kolonialgemälde aus dem Vizekönigreich Peru, das den Reichtum nach Habsburg schwemmte und die Wirtschaft in Europa ankurbelte. Dies hatte zur Folge, dass die Bevölkerung so verarmte, dass es zu Aufständen von Landwirt*innen, Handwerker*innen, Bergleuten und Künstler*innen kam.


* Rätsel

Immer ist es nah,
niemals ist es da.
Wenn Du denkst, Du sei’st daran,
nimmt es andern Namen an.

Loch an Loch und hält doch!

Dem Reichen bin ich nie, dem Armen oft beschieden,
doch weiß kein Sterblicher mir Dank.
Wenn du mich hast, so bist du unzufrieden;
hast du mich nicht, so bist du krank

Was nagt ohne Zähne und läuft ohne Beine,
allein Tote besiegen diese eine?

20.9.–13.10.19

Griesplatz
Ecke Griesplatz und Griesgasse
8020 Graz
♿ Zugänglich für Rollstühle

Google Maps

Griesplatz / Ecke Griesgasse

Frei zugänglich

In Auftrag gegeben und produziert von steirischer herbst ’19

Säule (Produktion): Carlota Gómez, Benjamin Koziol 
Skulptur produziert von Setfreddy (Freddy Gizas, Christos Vasilopoulos, Alexander Vikhrov und Maria Vythoulka)

Andreas Siekmann (1961, Hamm, Deutschland) ist ein Künstler und Kurator, der sich mit anhaltendem Interesse den komplexen Mechanismen des neoliberalen Kapitalismus und seinen verheerenden Auswirkungen auf politische und gesellschaftliche Strukturen widmet. Seine Zeichnungen, Modelle, Videos, Ausstellungsprojekte und Arbeiten im öffentlichen Raum zeigen ironische Bilder von den Machtstrukturen und ökonomischen Verhältnissen, die unser heutiges Leben überdeterminieren. Andreas Siekmann lebt in Berlin.